Wie dieses Gartenjahr anfing? An meinem Küchentisch. Mit Wein. Wir
saßen gemütlich, draußen war es noch winterlich dunkel und Marco sagte:
“Die Herausforderung ist, dass jetzt in kurzer Zeit ganz viel auf einmal
passieren muss! Im März muss alles fertig sein, damit die Leute
mitmachen können.” Ob das klappen und ob unser Konzept “Jeder darf
ernten” aufgehen würde, wussten wir nicht, aber voller Aufregung und
Erwartung erhoben wir das Glas auf den Garten – und es sollte nicht der
einzige Toast des Jahres bleiben.
In der Planungsphase haben wir
uns den Kopf darüber zerbrochen, wie wir die Beete wohl anlegen und
einteilen sollten. Genügt eine einfache Planke zwischen den Parzellen?
Oder eine hübsche Steinbegrenzung? Wir wählten eine Beeteinfassung aus
Dielen, die Marco und Thibault an einem wunderschönen Frühlingstag
zusammenzimmerten bis die Akkuschrauber leer waren und die an einem
gemeinsamen Aktionstag Anfang März eingesetzt und mit Erde befüllt
wurden. Dass diese “Hochbeete”, wie sie von Passanten gerne genannt
werden, eine gute Wahl waren, zeigten uns die Rückmeldungen. Man wusste:
“Jetzt geht es los”. Im unteren Teil des umgepflügten Stücks
entschieden wir uns für freiere und schwungvollere Formen. Die Beete
sind dort mit Steinen abgegrenzt. So ist für jeden etwas dabei.
Im Frühjahr zeigte uns Stefan Betzler, wie man Bäume schneidet. Die Apfelbäume auf dem Grundstück sind alt und nur noch halb lebendig, aber gerade deshalb für viele Tiere wertvoll. Wir sind nicht auf Ertrag aus, sondern hoffen nur, dass die Bäume noch lange stehen können. Stefan Betzler hat einen wertvollen Teil dazu beigetragen, wir danken ihm ganz herzlich.
Im März dann haben
wir ein wichtiges Vorhaben umgesetzt und eine Wildblumenwiese angelegt.
Mit geeinten Kräften haben wir Substrat geschaufelt und die Samen
ausgebracht. Das Ergebnis konnten wir bis in den Herbst hinein
bestaunen. Außerdem wissen wir, dass Dank der gemeinsamen Aktion sich
nun auch einige auf dem privaten Grundstück zuhause getraut und
Wildblumenecken angelegt haben. Dieser Abguck- und Lern-Effekt ist ein
wesentlicher Bestandteil unseres Mitmach-Gartens.
Das sieht man
auch auf einem weiteren schönen Element im Garten: unserer Lernbank.
Dank der Förderung des Lions-Clubs Bottwartal – natürlich in Form eines
RIESEN-Schecks – konnten wir eine wunderbare Massivholzbank im Garten
installieren. Sie ist mit einer Lerngrafik über Wildbienen versehen und
gewährt wenn man darauf sitzt einen wunderbaren Blick über den Garten.
Zum Garten-Eröffnungstag Mitte März konnten wir einen Teil unseres
Aufgeregt-Seins fallen lassen: Alles war vorbereitet, die Beete standen,
die Wege waren angelegt – die Saison konnte beginnen! Und wir ließen
uns nicht lange aufhalten, schon wurden die ersten Kartoffeln gesteckt,
Möhrensamen ausgebracht und Spinat gepflanzt. Unsere Idee ist stets,
dass nicht nur für uns, sondern auch für die Natur was rausspringt (denn
letzten Endes sind wir ein Teil von ihr). Überlässt man Marco einen
Garten, dann dauert es sowieso nicht lange und eh man sich versieht,
steht eine Steinpyramide. Auch diese haben wir mit ganz vielen Helfern
erbaut – natürlich so, dass der letzte Stein “plop” macht. Die Pyramide
macht den Garten strukturreicher. Die Devise ist: je mehr verschiedene
Lebensräume, desto besser. “Wäre ich eine Eidechse, ich würde in unserer
Pyramide wohnen”, Zitat Marco.
Im Mai, wenn die Pflänzchen vorgezogen und meist zahlreich übrig sind, bietet es sich an, eine Pflanzentauschbörse zu machen. Gesagt, getan! Die gemeinsame Aktion mit dem BUND Bezirksverband Marbach-Bottwartal hat für Austausch gesorgt, hat Spaß und Sinn gemacht und alle übrigen Pflanzen konnten wir im Garten unterbringen.
Inzwischen füllte sich Beet um Beet, es gab Klassenausflüge und
Kindergeburtstage im Garten, es standen über Nacht Wasserkanister oder
Hochbeete dort. Wir bekamen Besuch vom städtischen Ausschuss für Umwelt
und Technik mitsamt viel Lob und ein bisschen Tadel, aber auch der
Erlaubnis, eine Hütte zu errichten. Hohen politischen Besuch gab es auch
am Nachhaltigkeitstag im Juni. Der Mitmach-Garten war auf dem Marbacher
Burgplatz neben vielen verschiedenen Umweltschutz-Akteuren vertreten,
Anke Theilacker bot freundlicherweise eine Wildkräuterführung an und im
Anschluss gab Marco eine persönliche Gartenführung für Herrn Minister
Untersteller. Diesmal kein Tadel, nur Lob.
Das erste
Gartenhalbjahr war vergangen, alles spross und blühte, keimte und
summte. Leider in erster Linie auf der unteren Hälfte des Grundstücks –
oben herrscht wahrscheinlich seit Jahrzehnten Major Fettwiese. Mit Gras,
Gras und noch mehr Gras. Es wird lange dauern, bis die Wiese abgemagert
ist und sich biologische Vielfalt einstellt. Wir haben damit
angefangen, die Wiese zweimal gemäht (danke an Wolfgang!) und das
Schnittgut abgetragen. Die Nährstoffe können wir in unseren Beeten gut
gebrauchen. Wenn mich also jemand fragt: Was war dein Highlight in
diesem Jahr?, werde ich getrost antworten: Mulchwürste drehen!
Und wie war die Ernte? Wir sind mehr als zufrieden! Dafür, dass es
keinerlei Kontrolle gibt und der Garten auf dem Prinzip “Geben und
Nehmen” beruht, sind wir über die Ernte erstaunt. Zwischenzeitlich
dachten wir, ein Gespenst geht um, das alles mitnimmt. Aber das hat sich
wieder gelegt. Außerdem wissen wir nicht, wie viele Leute täglich am
Garten vorbeispazieren und sich bedienen. Wir jedenfalls haben Spinat,
Rucola, Kürbisse, Bohnen, Mangold, Kartoffeln, Radieschen, Kohlrabi,
Möhren, Pastinaken und Zucchini verdrückt. Und wir hoffen sehr, dass es
weiterhin rücksichtsvoll und freigebig zugeht. Dass, wer anpflanzt, das
Gesäte kennzeichnet und auch im Nachhinein ein Auge darauf wirft. Dass
die, die den Wert unserer Lebensmittel und des Gärtnerns verstehen,
stärker sind als die, die es nicht tun.
Momentan ist der Garten
im Winterschlaf. Natürlich kann man auch im Winter gärtnern, aber den
Garten ganzjährig in Schwung zu halten, das ist next level. Für das
kommende Jahr fokussiert sich unsere Planung in erster Linie auf die
Hütte, Tomaten-Überdachung und eventuell einige natürliche Zaunelemente.
Ein Rückschau- und Vorblick-Treffen soll es im Januar geben, es melde
sich bitte, wer daran teilnehmen möchte. Oder lasst in den Kommentaren
eure Ideen und Verbesserungsvorschläge, dann nehmen wir sie mit zum
Treffen.
Es sei an dieser Stelle noch einmal allen passiven und aktiven Unterstützern gedankt. Ihr ermöglicht den Garten! Ohne Rückhalt von den Marbachern kann auch das Steuerungsteam nicht aktiv sein und bleiben. Danke an das zuverlässigste Gieß-Team der Welt (Loredan & Co.), an Nathalie und Andreas für die Pflanzen-Lieferungen, an Thibault für die kurzen Abstecher in den Garten zwischen Freiburg und Berlin, an Winnie für die guten Ideen und das Organisationstalent, an Andrea für ihren unermüdlichen Einsatz bei der Stadt, an Markus und Familie, an Eugen und Familie, an Tobias, Felix, an Christiane, an Paolo und Kerstin und an Christel dafür, dass du immer Peter vorbeischickst. Sebastian ewige Dankbarkeit für das “Blaue Hochbeet” und alles, was daraus entstanden ist. Dank natürlich auch an Ella, die alles strengstens bewacht.
Was war wohl das Schwerste in diesem Gartenjahr? Morgen für morgen von einem Radiowecker geweckt zu werden, der sagt, dass wir es nicht schaffen, weniger zu verbrauchen. Der sagt, dass der CO2-Ausstoß konstant (viel zu hoch) bleibt und dass der Mensch an seinem Verhalten festhält, einem Verhalten, das ihn sehr wahrscheinlich um das Wichtigste bringen wird, das er hat: Frieden, Wohlstand, Gesundheit, Entscheidungsfreiheit. Bei den Nachrichten über die ein ums andere Mal gescheiterten Klimaverhandlungen, Nachrichten über das fahrlässige Nichtstun der Politik in die Gummistiefel zu schlüpfen, sich eine Mütze aufzusetzen und dem allem zu trotzen. Trotzdem ein Pflänzchen in die Erde zu drücken, ein kleines, wirkungsloses Pflänzchen vielleicht. Trotzdem in die Sommerhitze hinaus. Trotzdem: Auf den Garten!
(Foto: Michael Raubold)